Dass es nicht länger tragbar ist, wenn ich weiter jährlich über 50.000 km wertvolle Rohstoffe unwiederbringlich verballere, dämmert mir schon länger …
Dass es nicht länger tragbar ist, wenn ich weiter jährlich über 50.000 km wertvolle Rohstoffe unwiederbringlich verballere, dämmert mir schon länger. Und bevor man sich in der Selbstgefälligkeit einrichtet, wächst die Erkenntnis:
„Ich muss hier raus!“
Und zwar eigentlich sofort. Wenn auch beruflich gekoppelt an einen Flottenverbund, so habe ich doch Jahr um Jahr beharrlich bei jedem Inspektionstermin den Meister gefragt:
„Jungs, wie sieht es bei Euch aus mit alternativen Antrieben?“
Die Antwort leierte immer gleich über den Meister-Schreibtisch mit dekorativen Öl-Reagenzgläsern als Briefbeschwerer: „Herr Hoepfner. Die Technik ist noch nicht soweit. Und bei ihren Strecken. Das ist doch nur was für den Stadtverkehr.“ Dann noch die beschwörerische Andeutung, da komme bestimmt noch irgendeine Wundertechnik, irgendwann. Ja auf eine Geheimwaffe hat Deutschland schon einmal gewartet, in unseligen Zeiten. Und so lange kann man weiter Seltene Erden in den Raffinerien bei der Spriterzeugung verbraten, mit den Abgasen den Hitzschutzschild der Erde löchern und uns Kunden mit Betrugssoftware und aerodynamischem Finetunig an der Dachreling beschwichtigen. Wir wollten es ja eigentlich nicht anders.
Aber jetzt habe ich die Nase voll. Von den Ausreden, den Ammenmärchen der Petrolheads, dem selbstgerechten Verdrehen der Fakten und dem „immer weiter so“. Wir haben 2020, und ich will sicher nicht erst bis zum Alter von 150 Jahren durchhalten müssen, bis sich mal was ändert.
Schon Anfang 2020 dann beruflich in Amsterdam trau ich meinen Augen nicht – der ganze Stadtverkehr voll E‑Mobilität. Ja ist klar, die fahren immer nur ne Fahrradstrecke? Von wegen: zum Wintersport zischen sie mit Kind und Kegel ins Sauerland und nach Österreich. Aber wir kommen damit angeblich nicht von Köln nach Wuppertal? Wenn ich im Messeparkhaus Düsseldorf parke, stehen vorne direkt die Elektroautos. Kennzeichen: Niederlande. Österreich. Norwegen. Ja sind die vielleicht auf einem Tieflader hierhergekommen?
Ich kkkkkkkann auch anders
Gesagt, getan. Nach einiger Überzeugungsarbeit war der Diesel-Leasing-Vertrag gecancelt. Findet der Vertragspartner natürlich nicht so erfreulich. Ich diktiere im ins Reporting: Ich hab bei euch jahrelang gebettelt. Ihr habt nichts gebaut. Jetzt bin ich weg.
Eine Woche später lese ich in der Zeitung: Der PSA-Chef in Frankreich verspüre eine verstärkte Nachfrage nach alternativen Konzepten. Ach nee. Zehn Jahre habe ich gebohrt. Aber ich hatte mich bisher offenbar unklar ausgedrückt.
Davon habe ich jetzt aber noch keine neue Lösung, und als – irgendwann auch strukturell-terminlich drängender – Kompromiss wird ab 2020 erst mal ein Hybrid-Benziner mit sehr kleinem, verbrauchsarmen Motor geleast.
Das Wechsel-Timing drifte derweil etwas auseinander, eine Lücke entsteht und ich brauche noch einen Ersatzwagen dazwischen. Gut, wenn ich schon so die Klappe aufreiße, dann ist das jetzt wohl Pflicht, erstmals zwei Tage elektrisch zu fahren. Schon vorrecherchiert erkenne ich: Richtig die Nase vorn hat – als Innovator von außen – offenbar nur Tesla: um einen von null neu gedachten Antrieb wurde konsequente Software entwickelt und dann noch irgendwann eine Karosserie draufgesetzt. Ist in der Vermietung aber Premium-Level. Bei Starcar jedoch finde ich alternativ einen rein elektrischen BMW i3 zu vertretbaren Konditionen. Nun bin ich bekennender BMW-Hater („ich kann es erklären“), aber die radikale Form des i3 fand ich schon immer konsequent (gut, vielleicht bis auf die zwei blau umrandeten Nierentische an der Front). Also gebucht, zum i3 scheint ja auch ein Schuko-Ladekabel zu gehören, wird schon klappen, notfalls auch ohne Ladung für die paar km. Aber ausprobieren am Gartenhaus kann man das mit dem Strom ja mal. Löschwasser stehen auch 1000 Liter daneben. Ach und sicherheitshalber einfach mal paar Ladekarten bestellen, vielleicht kommt eine pünktlich.
Dann kam alles anders. Kaum war das Auto abgeholt, mussten aus den zwei Tagen neun werden, geplante 150 km wuchsen sich auf 1400 aus, die anfangs noch solidarisch elektro-ahnungslose Vermietung musste sich auch erst mal mit dem Wagen beschäftigen und statt Frühlings-Cruisen gab es für mich Sturm, Hagel, Regen, richtig Schnee auf Steigungen. Und nicht nur ich fuhr noch nie in so einem Teil: Außer mir im Wagen dann nacheinander: nicht weniger als 18 interessierte Mitfahrerinnen und Mitfahrer: Ey cool, lass mal mitfahren.
So naiv gestartet, gab’s dann einige Überraschungen und eine steile Lernkurve. Ein paar Tipps rund um die ersten Kilometer E habe ich daher hier zusammengefasst:
FAQ meiner Elektro-Auto-Praxis
- Toll, du konntest ja auch zu Hause und auf der Arbeit laden
NEIN, ich musste die meiste Zeit die öffentliche Ladestruktur nutzen. Den Schuko-Adapter hatte ich erst am Ende der Mietdauer. - Ich hab keinen Bock auf Ladekarten
Come on, die sind schnell bestellt. (Nachträglich stellte sich bei meiner Miete raus: die Starcar-Mietwagen können sogar kostenfrei per Chip geladen werden!) - Ich habe noch immer keinen Bock auf Ladekarten
Viele Säulen laufen mit EC- oder Kreditkarte (habe ich aber nicht ausprobiert). Bei IKEA, Aldi, Lidl usw. geht es umsonst und teilweise sogar mit 50-kW-Krawumm - Bei mir gibts keine Ladesäulen
Die Städte sind übersät mit Ladepunkten, und die Anzahl steigt gerade drastisch an. Und selbst in der Eifel gibt es ja grundsätzlich Strom (aber nicht an jeder Ecke Benzin). Guggs Du hier: https://www.goingelectric.de/stromtankstellen/ Oder schlage für Deinen Stadtteil Ladepunkte in den Laternenmasten vor; da gibts schon etliche Pilotprogramme. - Ich stelle mich doch nicht 2 Stunden an die Ladesäule!
Am schnellsten laden die Autos bis ca. 80% Füllgrad. In zehn Minuten hat man schon genug Saft mindestens für mittlere Kurzstrecken. Wenn man nicht das dümmste Fahrzeug und die lahmste Säule koppelt, geht das Laden zügig. - Das ist mir zu nerdig mit den Steckern
Ich habe auch kurz irritiert aus der Wäsche geguckt, aber eigentlich ist’s einfacher als Diesel und Super plus und Diesel minus und E‑irgendwas und dann noch Harnstoff nachfüllen. Man kapiert ruckzuck, welche Buchse da unter der Ladeklappe sitzt. - Ich warte auf besseren Diesel / Wasserstoff / andere Technik / E ist doch eh noch schädlicher
Fraunhofer hat dazu verständlich plus fundiert extrem viele Quellen ausgewertet. Ähnliche Analyse, aber als YouTube-Statement von Prof. Quaschning (HTW Berlin), beides ganz unten verlinkt. - Brennen die nicht dauernd
Nein, sogar seltener. Und sie lassen sich auch löschen, mit Wasserlanzen in die Batterie, das Auto wird bei Crashs spannungsfrei geschaltet. Links s. u. - Was ist mit den Stromnetzen? EBV brauchen im Vergleich nur den Bruchteil der Energie eines Benziners/Diesel, die Versorger sind da entspannt (Fraunhofer-Infos unten). Aktuelle Konzepte sehen sogar eine Stabilisierungsmöglichkeit durch viele Elektroautos
Elektromobil: dynamisch, geräumig und clean
Wie fuhr es sich nun? Jeder ist verblüfft, wenn sich das Fahrzeug zum ersten Mal lautlos in Bewegung setzt. Eine Kollegin sinngemäß: „So müssen sich früher die Menschen gefühlt haben, als sie überhaupt zum ersten Mal in einem Automobil saßen.“ Als Fahrer erlebt man die völlig verrückte Dynamik, wenn der i3 mit Drehmoment-jetzt-sofort praktisch verzögerungsfrei am „Gas“-Pedal hängt. Bei leichtem Druck schleicht sich der i3 sanft voran, bei kräftigem Tritt schießt die BMW-Kapsel nur so nach vorne. Und das alles mit vorher beim Bäcker getankten Sonnenstrom. Aber auch umgekehrt – leicht vom Pedal runter bremst er sofort wieder ab und lässt sich in den allermeisten Fällen auch ganz ohne das Bremspedal millimetergenau zum Stehen bringen. Die Energiebilanz dankt es einem hinterher durch etliche kW in die Batterie zurückgespeister Energie.
Aber zwei weitere Erfahrungen sind nicht weniger eindrücklich: Der i3 ist nun außen wirklich kompakt, hinten sitzend möchte man als Erwachsener auch nicht unbedingt bis zum Nordkap fahren. Aber durch den Wegfall der vielen Antriebskomponenten sind offenbar alle elektrischen Pkw innen deutlich geräumiger als die Verbrenner. Als alter Kombi- und VW-Bus-Fahrer: Ja, der Kofferraum macht keinen Umzug möglich. Zwei Stühle vom Möbelhaus abzuholen war mit dem i3 aber kein Problem. Und wenn ich meinen Kombi jetzt gegen den i3 tauschen müsste: Sofort und bedenkenlos. Nach Fahrzeugrückgabe im viel größeren (aber natürlich auch niedrigeren) Kombi sitzend überkam mich ein fast beklemmendes Gefühl: Alles so eng hier im Verbrenner?
Und zuletzt: Ich musste jetzt zwei Wochen nicht mehr an einer Tankstelle in den Dieselpfützen stehen, was für eine Erleichterung. Ich musste überhaupt gar nicht mehr extra zur Tanke! Wo auch immer man gerade ist: Strom und eine Steckdose finden sich meist in der Nähe. Mobilität ist plötzlich verfügbar, so wie der Staubsauger einfach ein- und dann wieder ausgeschaltet wird. Wenn längere Strecken anstehen, sind sowieso Pinkelpausen angesagt. Dann kann man bei modernen EBV mit 50 kW – oder je nach Pkw auch einem Mehrfachen davon – schnell mal was in den Akku ballern. Ich (Jahresleistung 50.000) stelle fest: Ich brauche gar kein Auto mit 1000 km Reichweite. Und verrechnet mit der übers Jahr gesparten Tankzeit (weil ich mich zwischendurch beim Supermarkt, zu Hause, auf der Arbeit oder bei Kunden eh nebenher an eine Leitung klemmen kann, wir leben ja nicht in der Sahara), komme ich eigentlich auf eine vergleichbar lange Reisezeit. Mal von dem ganzen gesparten Inspektions- und Wartungsaufwand abgesehen. Ja sorry, die Werkstätten müssen sich umstellen, aber wir stoppen auch nicht das Internet, obwohl in Wuppertal ganze Quante-Industrieflächen der Digitalisierung zum Opfer fielen. Erste Elektronikfachmärkte machen es hier übrigens vor: Sie errichteten bereits eigene Ladepunkte, boten dann Installationsservice für zu Hause – und beginnen nun, eigene E‑Autos zu verkaufen. Obacht, geliebtes Automobilhaus.
Wenn man wie ich täglich 150 km fährt, macht natürlich eins Sinn: Lademöglichkeit zu Hause oder bei der Arbeit. Wer diese 150 km nur in einer Woche fährt, muss aber definitiv nicht alle zwei Tage an die Dose.
No way back
Es gibt nicht viele „Zum ersten Mal“-Mobilitätserlebnisse, die mich nachhaltig beeindruckt haben: Mit dem eigenen Käfer zum ersten Mal nach Norddeutschland. Mit einem 70 Jahre alten Holzboot zu zweit über die Ostsee. Jetzt 1400 km rein elektrisch – das toppt noch fast die genannten Premieren.
Meine Verbrenner-Monate sind gezählt. Ein Neuwagen-Sparkonto ist eingerichtet. Es gibt kein zurück. Und mit dem Öl können unsere Kinder später intelligentere Dinge unternehmen, als es zu verbrennen.
Nützliche Links zu E‑Mobilität
Die ganzen YouTuber zum Thema bewegen sich zwischen unterhaltsam und irgendwie-zusammengereimt-merkt-schon-keiner bis zum narzistisch-selbstverliebten Dauer-Welterklärer (auch in Kombination). Und es entsteht so eine Video-Inflation, dass man kaum noch durchblickt. Zwei solidere Kanäle:
Ove Kröger
… hat sein Leben lang geschraubt und arbeitet als Pkw-Gutachter. Bei aller Elektrobegeisterung kommt da aber noch deutlich mehr rüber als reine Elektroblasen-Nabelschau.
Nextmove
(Disclaimer: wir sind ebenfalls weder verwandt noch verschwägert, und selbst gemietet hatte ich bei Starcar) schöpft seine Infos ebenfalls aus professioneller Basis — die Autovermietung betreibt eine große E‑Flotte und kennt alle Hochs und Tiefs. Die Wochenrückblicke sind offenbar von einer kleinen Redaktion aufwändig recherchiert und aufbereitet, sehr auf den Punkt ohne „sind wir nicht alle so toll Blabla“.
Realitäts-Check 2020 von Shell
Wie sehen Wirklichkeit und Erwartungen in Europa Elektroflotte heute aus? Shell hat dazu die üblichen Fragen von Fahr- bis Ladeverhalten bei Fahrern abgefragt und zugänglich aufbereitet. Download der verständlich gestalteten Broschüre:
https://newmotion.com/de_DE/ev-driver-survey-report-2020-de/
Umweltbilanz
Ja, zu Fuß gehen ist zwar ökologischer. Eine in 2020 sehr fundiert zusammengetragene Meta-Studie der Fraunhofer bietet aber kritisches Material zu vielen Umweltaspekten – im Detail genau recherchiert und dokumentiert, aber auch allgemeinverständlich im Überblick präsentiert:
Quaschning2go
Prof. Quaschning hat vergleichbar viele Aspekte zusammengetragen, eingeflossen in diesen YouTube-Beitrag.
Disruption vom Bäcker
Ein Beispiel, dass man nicht ein mittel durchgeknallter Elon Musk sein muss, um Geschäftsmodelle disruptiv auf den Kopf zu stellen: Die Bäckerei Schüren zeigt bereits der traditionellen Autobranche, wo der Hammer hängt und baut schon den nächsten zeitgemäßen Ladepark: https://www.facebook.com/SeedandGreet/
Fahrzeugbrände
Fahrzeugbrände gibts (leider) täglich – z.B. wegen Benzinlecks. Elektro-Crashtest-Reihen mit massiven Fahrzeugzerstörungen hat dazu die DEKRA unternommen. Brennt in einem Batterieauto nach selbst verschuldetem Abgang in die Botanik der Dachhimmel, ist das direkt eine Horrorstory wert: