105 Seemeilen rund Ærø

Lesedauer 8 Minuten

Nur noch wenige Meter bis zum Steg. Bis zu einem der Stege. Armin und ich sind uns sel­ten uneins, hier aber unentschlossen – welche der in sehr luftigem Abstand ins Hafen­beck­en geset­zten Pfahlrei­hen passt am besten zu unserem kurzen Folke­boot, wo ist das vom regen­nassen Algen­schmi­er seifenglat­te Holz­plateau nicht ganz so hoch? Von Mom­mark kom­mend hat­ten wir uns bei ständig zunehmen­dem Wind und eini­gen Schauern das Stück bis Lyø hochgear­beit­et, uns am Wind her­an­tas­tend an Fynens Süd­west­spitze steuer­bord gehal­ten und die lange, flache Nord-Landzunge Lyøs umrun­det. Karte und GPS im Blick – neben dem ins Meer greifend­en Naturschutzfin­ger wird es flach – nehmen wir das Groß runter und rauschen nur unter Fock auf die Hafene­in­fahrt zu, die noch gut zu erken­nen ist. Danach würde es laut Hafen­hand­buch aber bei Seit­en­wind zack­ig um die Eck­en gehen. Also noch den Außen­bor­der aus der Hal­terung gewuchtet, Ben­z­in­tank auf, und der Zweitak­ter schiebt uns die let­zten Meter durch die ros­ti­gen Spund­wände der Ein­fahrt, dreht den lan­gen Kiel trotz Wind auch um die Kur­ven. Die Leinen liegen klar, denn welch­er Ort es jet­zt auch wird: der Wind drückt uns dann seitlich, eine zügig fest­gemachte Leine an einem Punkt in Luv macht Sinn.

Weiter nordwärts
Außenborder
Armin Pech

Erfol­gre­iche Fehler­suche: durch den fehlen­den Sprit im Fil­ter kamen wir auf den Riss

Erst in Form eines aus­giebi­gen Früh­sports mit diversen Gas- und Choke-Ein­stel­lun­gen. So aufgewärmt, gehen wir sys­tem­a­tisch vor: Motorab­deck­ung auf, Sprit­fil­ter check­en. Stellen fest: dort ist offen­bar kein Tropfen Ben­zin mehr drin. Tank check­en – voll. Tankdeck­el – Lüfter ist auf. Tank ste­ht ger­ade, Ansaugstutzen ist unter dem Sprit-Lev­el. Alles tip-top. Gum­miball zum Pumpen. Der kommt uns übri­gens seit gestern etwas komisch vor. Son­st nix zu sehen, auch nicht an der Leitung. Warum kommt dieser elende Sprit nicht am Motor an? Armin dreht den Schlauch noch ein­mal aus der Ruhe­lage hin und her – da klappt ihm ein Leitungsriss direkt am Pump­ball ent­ge­gen: Ab hier herrschte also nur noch frisch­er Meer­luft-Flow in Rich­tung Heck zum Motor, wenn man durch Schwenk des Motors leicht­en Zug oder Drehung in den Schlauch brachte. Uns fällt ein Riesen­stein vom Herzen, und merken erst jet­zt, wie sehr uns diese tourentschei­dende Frage doch im Magen lag. Das Werkzeug ist schnell aus­gepackt, der Schlauch gekürzt, Schelle drauf, zwei‑, dreimal pumpen – Motor läuft.

Wir schnap­pen unsere Jack­en, check­en zum hun­dert­sten Mal die Fest­mach­er und erkun­den die Insel. Nur eine Hand­voll zerzauster Segler und zwei, drei Ein­heimis­che sind zu sehen. So malerisch diese ganzen Inseln auch sind: oft ver­bre­it­en sie ja doch eine etwas ver­störende Ver­lassen­heit. Hochw­er­tigst restau­ri­erte und ver­fal­l­ene Häuser wech­seln sich ab, aber die Edelfe­rien­häuser (oder Wer­tan­la­gen) kom­men mir beson­ders spooky vor, so ver­lassen in der Vor­sai­son. Am Weges­rand ein offen­er Ver­schlag mit Spar­dose – hier deck­en wir uns mit ein paar Gläsern selb­st­gekochter Marme­lade ein und erweit­ern unseren Bor­d­pro­viant um eine weit­ere Geschmack­srich­tung „Kirsche“. Bloß auf­passen, dass im Geld­schlitz nicht die falschen Münzen lan­den und wir beim näch­sten Hafe­nau­to­mat­en unter der Dusche im Trock­e­nen stehn.

Karten
Schweinswale
Detlef Hoepfn­er

Wenig Wind = schöne Sicht auf die Schweinswale

Wir trim­men hier und da, aber alle Tricks ändern nichts daran, dass man bei einem knap­pen Knoten Fahrt pro Stunde keine ganze Seemeile gut­macht. Wir gehen ungern so früh an den Treib­stoff, ander­er­seits: „Winden­ergie“ würde sich uns die näch­sten Tage noch zur Genüge bieten. Der Nor­den ist im Juni auch um zehn noch hell, das kommt uns nun zugute. Aber dann sollte man doch im Hafen sein, schon um Mom­marks Hafen­meis­ters leg­endäre Jagdhorn-Ein­lage nicht zu ver­passen. Hin­ten brummt der Zweitak­ter, am Bug spritzt es wieder, wenn auch Motor­boot-gle­ich­för­mig statt Segel- oder Wellen-mod­uliert. Sehr spät leg­en wir nach den ersten 20 Seemeilen in Mom­mark an, proppevoll am Sam­stagabend, außer uns bewe­gen sich am Hafen nur noch ein paar Angler­boote – und die ent­ge­genk­om­mend. Dankbar sind wir der vorauss­chauen­den Crew der in der Hafe­nenge liegen­den Pel­trine, einem über 100 Jahre alten See-Ewer: Zwar haben wir oft genug ver­gle­ich­bare Vorsegel an ähn­lichen Schif­f­en geset­zt und gebor­gen, aber ob wird beim engen Manövri­eren aus unser­er tiefen Folke­boot-Per­spek­tive her­aus an den weit aus­laden­den Klüver­baum weit über uns gedacht hätte, ohne den dran baumel­nden orangen Kugelfender …

Video von der Tour gibt’s hier


Folkeboot
Detlef Hoepfn­er

Armin macht ein Nick­erchen – und doch mal dichte Klam­ot­ten anziehen

Lyø hal­ten wir gut in Erin­nerung, nicht nur vom ben­zin­schlauchbe­d­ingten Anle­gen in Etap­pen und hil­fre­ichen (statt nur gaffend­en) Seglern, son­dern einem wun­der­baren Naturschutzge­bi­et, lan­gen, knor­ri­gen Alleen und dem mys­tis­chen „Glock­en­stein“. Viel Gele­gen­heit, den Tag wun­der­bar auf der Insel zu vertrödeln, umgeben vom schäu­menden Lillebælt.

Klokkestenen
Detlef Hoepfn­er

Pirat­en achteraus?

Zeit­gle­ich kom­men große Tra­di­tion­ssegler von Faborg um die steilen Klip­pen gebo­gen, uns ent­ge­gen oder holen von achtern sich aus dem Hor­i­zont erhebend auf. Was für eine phan­tastis­che Kulisse! Wir hal­ten ihre Kurse im Blick, set­zen uns etwas dichter dazwis­chen. Ein ein­fach über­wälti­gen­des Panora­ma aus kräftigem Wind und lan­gen Wellen, streifen­d­em Salz- und Regen­wass­er, als groß gepin­selte Pati­naflächen dazwis­chen cre­me­far­benes Segel­tuch. Zögen jet­zt noch Kanonen­don­ner und Pul­ver­dampf übers Wass­er, es würde einen fast nicht wun­dern. Nach rund ein­er Stunde hat der Spuk ein Ende, wir sind wieder allein und es stellen sich die All­t­ags­fra­gen: Das häßliche Kümo vor uns – in Fahrt, vor Anker, oder weiß es das ger­ade sel­ber nicht?

Es dauert nicht sehr lange (Karte­nauss­chnitt, und Blick auf die Delius-Klas­ing-App) bis nach 18 sm Ærøskøbings aufgerei­hte Bade­häuserzeile erre­icht und ein guter Platz gefun­den sind: Eine ganz leere Hafe­necke, gegen den Wind geduckt hin­ter ein­er mas­siv­en Stein­mole, das dänisch-bunte Muster hölz­ern­er „Bade­huse“ direkt vor Augen. Im Boot offen­bar sich nach dem Anle­gen das typ­is­che Chaos: Vorm Hafen grob aufge­tuchte Segel. Leinen über­all. Jack­en, nasse Hosen, Ret­tungswest­en. Karten, Kam­era, Tablet, Fer­n­glas, Funk. Unter Deck noch Baum­stütze, Fend­er, Zelt … Dass man abends über­haupt noch ein Lücke für den Schlaf­sack findet!

Armin möchte aufräumen.
Ich will zur Werft.
Armin zeigt auf das mar­itime Chaos rund um uns.

Ich auf die leeren Liege­box­en rechts und links: Hier ist nie­mand, der uns verpfeifen kön­nte – wir sind doch unter uns! Und der Werft-Shop führt manch­mal Wei­h­nachtss­chmuck. Damit kann man bei der häus­lichen Genehmi­gungsstelle für ehemännliche Erkun­dungs­fahrten zwecks tur­nus­mäßiger Ver­mes­sung der Dänis­chen Süd­see sehr erfol­gre­ich Punk­te sammeln. 

Armin möchte aufräu­men. Wenig­stens etwas. 

Wir eini­gen uns, müssen dann zu Fuß schnell ein­mal durch den ganzen Hafen, sind Vier­tel vor Fünf an „Det Gam­le Værft“. Die soeben geschlossen hat! Durchs Fen­ster sicht­bar­er Krim­skrams in den Werftre­galen schaut aus, als hätte er daheim etwas bewirken kön­nen. Nun wer­den wir uns für 2019 was ein­fall­en lassen müssen. Aber Segelk­lam­ot­ten, die schon aufge­hängt gut trock­nen, haben ja auch ihr Gutes.

Detlef Hoepfner
Fähre
Detlef Hoepfn­er

Wo bin ich 😉

Wir schle­ichen um die Boots­baustellen und schla­gen uns in die Neben­gassen. Eine schön­er als die andere, gehal­ten in far­ben­fro­hen, aber nicht über­sät­tigten Far­ben, flaniert von den hier typ­is­chen Stock­rosen. Von der Nør­re­gade schaut man durch die offe­nen Fen­ster in dänisch designte Wohn­räume. Und blickt durch deren hin­tere Fen­ster gle­ich weit­er durch auf die Ost­see. Die Jahreszahlen auf den Giebeln ver­rat­en, dass man schon in den 20iger Jahren des let­zten Jahrhun­derts wusste, wie es sich schön wohnen lässt, ganz ohne Foto­tapete oder Riesen­glotze an der Wand.

Æroskøbing
Kurs Marstal
Detlef Hoepfn­er

Kurs Marstal

Die Segel­woche neigt sich, es ist nochmal sehr viel Wind aus Nord ange­sagt. Die Rich­tung passt per­fekt, wir haben gut geplant. Nur zwei Tage drauf ist endlich nach­lassender Wind ange­sagt, wenn wir wieder einen sehr lange Schlag zurück nach Deutsch­land vor uns haben. Aber jet­zt schon ganz zurück … doch lieber Zwis­chen­stopp in Bagenkop. Raus aus Ærøskøbing pfeift es wieder ordentlich. Das Groß ist angeschla­gen, aber nicht geset­zt. Wir hof­fen, allein mit sehr reduziert­er Segelfäche – unter Fock – bei kräftigem Nord­west auf Halb­wind­kurs mit Kurs auf Drejø so viel Höhe hal­ten zu kön­nen, um von dort in die Mørkedyb-Rinne hin­un­terzu­rutschen. Die Welle nimmt ordentlich zu, die paar Segler um uns rum schauen von deut­lich größeren Booten auf uns runter. Sie kön­nten not­falls auch unter Motor einen Kurs „erzwin­gen“. Wir dage­gen müssen uns völ­lig an die Sit­u­a­tion adaptieren.

Mørkedyb
Detlef Hoepfn­er

Fahrwass­er-Wirrwarr vor Marstal – und das Trock­endock ist weg

Also Auss­chau gehal­ten, ob man den näch­sten beton­nten Hak­en Rich­tung Marstal nicht etwas mildern und abkürzen kann, ohne das Boot auf eine Sand­bank zu set­zen. Am Ende der Rinne bietet sich dazu nach SW ein Schlag über „Mey­ers Grund“ an, angesichts des See­gangs mit deut­lichem Abstand zu den Tiefe­nangaben, die mit ein­er „2“ vor dem Kom­ma in der Karte ste­hen. Vor Marstal ange­langt gilt es dann, die richtige Beton­nung der drei Fahrwass­er plus Hafen­z­u­fahrt statt der vorge­lagerten Stein­mole zu erwis­chen – nur unter Vorsegel bei dem vie­len Wind und ohne Option, unter Motor zu kor­rigieren gibt es hier auch nur einen Ver­such, richtig abzu­biegen. Wir hat­ten über­legt, noch einen Zwis­chen­stopp einzule­gen, den Tag extra hät­ten wir dafür. Aber mor­gen soll das Wet­ter kom­plett kip­pen, statt kräftigem Nord­west plöt­zlich Süd­west. Wir möcht­en hier nicht plöt­zlich eingewe­ht wer­den und denken, dass wir weit­er südlich auf Lan­ge­land bess­er aufge­hoben sind, um von dort bei SW zurück nach Deutsch­land zu kom­men. Also weit­er. Back­bord schim­mern mit klar­er Far­bkante abge­gren­zt die Sand­bänke dicht am Fahrwass­er, die Kulisse von Marstal zieht beim Kurs Süd steuer­bord vor­bei, mit gewöh­nungs­bedürftigem Umriss: Jahrzehnte geze­ich­net von den in den Him­mel ragen­den Fin­gern der Kräne und dem kasti­gen Schwim­m­dock der Marstal Værft, deren land­schaft­sprä­gende Stahlmonster aber 2017 nach Svend­borg ver­legt wur­den. Schön war anders – aber irgend­wie fehlt einem diese Land­marke jet­zt doch.

Strom
Hafen Bagenkop
Detlef Hoepfn­er

Bess­er kann es einem nicht gehen

Die vie­len freien Box­en liegen lei­der alle quer zum Wind, der Wind­druck nur im Rigg reicht aus, unser fest­gemachte Boot zu krän­gen. Noch hof­fen wir, einen der später ein­laden­den Segler neben uns lock­en kön­nen für etwas Deck­ung. Stattdessen gibt es zwar gut zu tun, von eben­so zer­rupften Seglern Leinen anzunehmen. Aber ihre fet­ten Motoren, mit denen sie mehr oder weniger erfol­gre­ich ver­suchen, ihre Anleger kon­trol­liert ver­laufen zu lassen, wühlen das halbe Hafen­beck­en rund um uns auf und es ist dann vielle­icht doch bess­er, dass wir alle etwas Abstand halten.

Nebe­nan wer­den die gemesse­nen Windgeschwindigkeit­en disku­tiert, und unser Zelt fürs Cock­pit bleibt fest weggepackt. Und da wir ja bei dem Gepfeife kaum den Gaskocher in Gang bekä­men, müssen wir lei­der, lei­der, aus­nahm­sweise im Hafenkiosk Riesen­por­tio­nen Lan­gelæn­der-Pommes und ein paar dicke Burg­er ver­drück­en. Nur ein Pølser reicht heut nicht. Aber auf einem Stuhl zu sitzen, ohne dass einen der Wind weg­drückt – das ist auf ein­mal unge­wohnt. Wir guck­en weit­er Wet­ter, Wet­ter, Wet­ter: Mor­gen, am vor­let­zten Tag, kräftiger Süd­west. Über­mor­gen dann deut­lich weniger – yiep­pieh, zulet­zt noch ein ruhiger­er Segelt­ag? Wir laufen nochmal zur Hafene­in­fahrt, schauen uns den See­gang und ein paar dazwis­chen ein­laufende Angler und Segler an, klet­tern auf den kleinen Aus­sicht­sturm: Da möcht­en wir jeden­falls so bald – und vor allem in Gegen­rich­tung – nicht wieder durch.

Bagenkop
Klippen
Detlef Hoepfn­er

Die Klip­pen, jet­zt von See aus
Kurs auf die deutsche Ostseeküste
Leuchtturm Schleimünde
Detlef Hoepfn­er

Zurück am Leucht­turm Schleimünde
Schlei
Detlef Hoepfn­er

Gesamte Runde um Ærø mit 105 Seemeilen (knapp 200 km)

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