“Eigentlich” wollten wir Himmelfahrt 2020 mit unserem Segelverein nach Ratzeburg, um dort ein langes Wochenende segeln zu verbringen. Das Chaos rund um die Viren-Pandemie machte uns dort nach langem Hin und Her schließlich doch einen Strich durch die Rechnung.
Als Familie waren wir dennoch ein paar Tage in der Stadt, um ein paar familiäre Dinge zu erledigen – das verwaiste Segelzentrum dort zu sehen ohne unsere Segelgruppe trübte dennoch die Stimmung. Zur Ablenkung sind wir abends um den (noch immer eingerüsteten) Dom geschlichen und haben den im Turm nistenden Uhus aufgelauert: Die Jungen übten sich gerade in ihren ersten Flugversuche. Wenn man mit etwas Geduld genau die Zeit zwischen Aktivitätsbeginn und der stockfinsteren Nacht erwischte, konnte man sie gelegentlich vor die Linse bekommen.
Lesedauer9MinutenSpielt sich das wahre Erleben vor oder hinter der Kamera ab – ich bin mir da nicht immer sicher: Was nicht den Weg durch meine Kameralinse fand, empfinde ich als gar nicht richtig erlebt – oder verankerte sich das Abenteuer tiefer, wenn ich mal die Knipse weglegen würde?
In unserer Jugendabteilung des SVWK (www.segeln.ruhr) wird daher jedenfalls viel fotografiert, und spätestens zum Jahresende stürzen sich auch alle Kinder begeistert auf die gemeinsam erarbeiteten Fotoergebnisse. Eins der Fotos hat es in die 2018-Endauscheidung des Verbandes SVNRW geschafft, und damit in die Segler Zeitung und auf die Messe boot.
Die Kinder sind stolz wie Bolle! Und auf Facebook & Co gab es dazu eine Menge Traffic.
Daher hier mein „Segelfoto making of“! Übrigens gibt es zu dem Thema nun bei Amazon auch ein e‑book von Stephan Boden „Mit der Kamera an Bord – Einfache Tipps für gute Fotos“.
1. How to: So ein Bild braucht 1/25 Sekunde. Plus ein paar Jahre.
„Ist Fotografie Kunst?“ fragte man sich in deren Anfangszeit. Wenn wir uns darauf einigen, dass Kunst nicht nur von „Können“ (s. u.), sondern auch von „Künden“ abgeleitet werden kann, bedeutet dies: Um etwas erzählen zu können, muss man es erst erlebt haben. Ein Bild wie unser Beitrag zum SVNRW Fotowettbewerb (und sicher viele der anderen Motive ebenso) wird daher nur möglich, wenn man selbst ins Thema eintaucht. Wenn man mitsegelt, mitstaunt, mitfriert. Dass man sich wie alle anderen die Finger klemmt, nasse Füße holt, gemeinsam die Hände am Teebecher wärmt – das wunderbare Erleben ganz besonderer Momente teilt. Dazu eine gemeinsame Beziehung baut und lebt, und nicht als knipsend-polternder Fremdkörper im Wege steht. Nach ein paar Jahren – schon hat man den Dreh raus. Daher gilt auch: Die Fotos (hier größtenteils aussortiert, weil unsere Kinderfotos nix im WWW zu suchen haben) dienen nicht dem Fotografen-Ego, sie sind lediglich ein „Nebenprodukt“ unseres Segelvergnügens, und verlängern dieses ein wenig in die Zeit, während der wir an Land verbannt sind.
Segeln dürfen wir auf dem Kemnader See nur bis Mitte November. Aber warum im November noch aufs Wasser? Im Winter dürfen wir nicht, im Sommer dagegen wächst uns der See zu. Bleiben die Zeitfester dazwischen. Seitdem wir endlich die Sicherheit auf dem Wasser vernünftig gewährleisten können, dehnen wir also die Segelzeit aus, so weit es geht. Natürlich bei vertretbaren Sichtverhältnissen spätnachmittags, die Fotos sehen viel dunkler aus, als die Umgebung für das menschliche Auge tatsächlich ist. Überreden muss man dazu niemanden: Schlechtes Wetter finden die Kinder, wenn kein Wind ist. Nach einem ersten Versuch vor ein paar Jahren, bei dem dann tatsächlich hinterher im Taschenlampenlicht der letzte Kram in die Schapps verpackt wurde, erlebten wir im Folgejahr eine Überraschung: Kaum begann die dämmrige Segelzeit, standen die Kinder unaufgefordert mit der Stirnlampe auf der Mütze und warm angezogen am Steg parat. An die Affenschaukel kam noch eine LED-Campingleuchte, und auch auf dem Optisteg (na gut, er ist eigentlich eh beleuchtet) wurde eine Lampe postiert – „damit wir zurück in den Hafen finden“. Wer einigermaßen gut am Sicherungsboot auf dem See anlegt, verdient sich ein paar Kekse, eine Tasse warmen Tees gibt es sowieso über die Bordwand gereicht. Was ganz neue Herausforderungen in den Optis schafft: „Moment, ich muss erst den Tee aus dem Boot lenzen, hier schwimmt gerade alles …“
2. Welche Kamera gewinnt auf dem Wasser?
Beim Scrollen durch meine Bibliothek kann ich oft nicht mehr spontan sagen: Smartphone oder Spiegelreflex? Aber bestimmte Fotos lassen sich nur mit der einen oder anderen Kamera (einigermaßen gut) erzielen. Und die absolute Bildqualität macht ebenfalls einen Unterschied: Bedingt durch meine etwas unorthodoxe Lesestrategie des Magazins „Yacht“ (und bedingt durch deren für mich viel zu hohe Schlagzahl) kann es vorkommen, dass ich nacheinander eine Ausgabe von 2014 oder älter und dann eine aktuelle 2018er durchblättere und genieße. Der Unterschied in der Bildqualität, bedingt durch den technischen Kamerafortschritt, ist gewaltig!
Das Smartphone ist jedenfalls immer dabei, bei mir meist in einer wasserfesten Hülle. Dadurch ermöglicht es ganz oft Bilder, die sonst nicht möglich wären. Denn am wichtigsten ist Tipp Nr. 1 – mit ganzem Einsatz regelmäßig dabei sein.
Jahrelang war als Spiegelreflex eine robuste Nikon D300 mein Begleiter, zusätzlich gummiarmiert. Ersetzt wurde sie 2017 durch eine Nikon D750. Mit einem einzigen Objektiv (24–120mm), denn wer will auf dem Wasser auch noch Objektive wechseln? Die 24 mm sind machmal noch fast zu viel (nicht „weit“ genug), wenn Kinder und Boote auf Armlänge bei mir anlegen. Die 120mm helfen, wenn sie mit einer frischen Brise davonzischen. Diese Brennweitenwahl ist mit dem Smartphone nicht möglich, auch nicht die Qualität bei den wechselnden Lichtverhältnissen. Erst recht nicht, wenn die Sonne direkt auf die Schutzscheibe der Smartphone-Hülle brennt.
Eine vernünftige Armierung für die D750 habe ich noch nicht gefunden, stattdessen liegt ein knallgelbes Peli-Case im Boot: Ganz ohne Innenausstattung: Case-Schloss auf, fotografieren, Kamera wieder reinwerfen, Deckel mit dem Fuß zutreten. Bisher ist es gut gegangen, und den gelben Kasten hat man auch immer gut im Augenwinkel. Das Objektiv schützt zudem ein UV-Filter gegen Beschädigungen, der Deckel hingegen führt ein reiselustiges Eigenleben und wird mir von verschiedenen Orten immer wieder zurückgebracht: „Der ist doch sicher von dir …?“ Den Kameragurt habe ich an die D750 erst gar nicht dranmontiert, der verheddert sich eh nur überall an Bord oder verklemmt beim Schließen unterm Case-Deckel.
2. Mit der Kamera vertraut machen
Auch die D750 wandert hier oft durch Kinderhände. Hat man sich als Besitzer an den leicht erhöhten Adrenalinpegel gewöhnt, entstehen oft ganz unverhoffte Motive: Einige der schönsten Bilder stammen nicht von mir, sondern den Kindern aus ihrer eigenen Perspektive. Was aber eine Hürde ist: Sie sind vom Smartphone gewohnt, dass die Kamera alles alleine macht. Überhaupt durch den Sucher zu sehen (wodurch man auf dem Wasser optimale Kontrolle hat, statt auf dem Screen nur den Himmels zu spiegeln) ist für sie eine Herausforderung. Zumal eine Vollformat-DSLR ein völlig anderes (anspruchsvolleres) Schärfeverhalten hat: Leicht vorbei ist hier dann voll daneben. Hier hilft nur: Fotografieren, fotografieren, fotografieren, bis man die Bedienung wie im Schlaf beherrscht. Und am wichtigsten ist Tipp Nr. 1.
3. Einstellungen: Segelfoto-Parameter
Am einfachsten wäre ja ein Nikon-Segelfoto-Gewinner-Preset. Reindrehen, fertig. Aber ich benutze nicht einmal die Standards, von den Spezialprogrammen ganz abgesehen. Denn soll ich jetzt ernsthaft auswendig lernen, welches Programm in welcher Situation was macht? Für mich gehören die in solchen Kameras aus der Firmware gelöscht, den Speicher kann man sicher anders besser nutzen. Wenn ich schnell ein cooles Instagram-Foto möchte, nehme ich eh das Smartphone und bin in drei Klicks fertig.
Die D750 läuft bei mir nur noch im manuellen Modus, Ausnahme ISO: Ich wähle Blende/Zeit, ISO passt sich dann an. Anpassung dann ggf. durch die Belichtungskorrektur. Dadurch bin ich sicher, dass die Zeiten zum Motiv passen, und die Blende den gewünschten Bildeffekt gibt. Tendenziell geht es immer in Richtung kürzerer Zeiten, ich bin da oft zu „langsam“ und unterschätze noch immer, wie sehr man sich selbst und das Motiv bewegt, Stabilisation im Objektiv hin oder her. Wenn es arg hektisch ist, macht auch eine mehr als 5,6 geschlossene Blende Sinn, um etwas mehr Headroom in der Schärfe zu haben. Das, nebenbei, macht für mich ein wenig die Vorteile eines Vollformatsensors zunichte, der bedingt durch die Geometrie von Sensor/Objektiv zu einer deutlich verringerten Schärfezone führt. Wenn man etwas Ruhe hat, öffnet dieses Schärfeverhalten zwar tolle Möglichkeiten der optischen Isolation von Motiven, aber probier das mal bei Lage auf der Jolle, womöglich noch mit einer Hand an der Pinne … Kurze Zeiten plus geschlossene Blenden führen dann leider oft zu höheren ISOs, als mir lieb ist.
4. Fokus auf dem Wasser
In mindestens den ersten 15 Jahren meines Fotografierens musste ich ohne Autofokus auskommen, was jetzt auch nicht immer so ganz ideal war. In den letzten 25 Jahren versuche ich nun, den Autofokus zu bändigen, mit ebenfalls gemischten Ergebnissen. Continuous ist meist eine gute Wahl, aber die Herausforderung lautet: Wie bekomme ich das Messfeld schnell und perfekt aufs Motiv. Da man ja beschäftigt ist, wäre ein automatisches Tracking hilfreich, aber eigentlich sind die Situationen dafür immer zu chaotisch. Am Besten fahre ich mit einem einzelnen Messfeld. Entweder per Daumen immer schnell hin und her geschoben, oder einmal „gelockt” und dann hoffend, dass es automatisch mitgezogen wird. Größter Nachteil an der D750 (wie auch der D300 und ganz vielen anderen Kameras): Die Messfelder lassen sich einfach nicht weit genug aus der Bildmitte seitlich verschieben. Das führt oft zu total unglücklichen Bildausschnitten (im Extremfall Anfängerfehler: Kopf genau in der Bildmitte, Beine und Füße abgeschnitten). Gelegentlich funktioniert auch eine vollautomatische Messfeldauswahl (besonders, wenn die Kamera in ungeübte Hände geht), aber zu oft springt der Fokus dann auf Objekte, die man zwecks Bildgestaltung im Frame haben, aber nicht scharf sehen will. Und wenn es nur ein Bändsel ist, das plötzlich in den Bildausschnitt flattert.
Man muss jetzt nicht zum totalen Pixel-Pedanten werden, aber: Ein perfekter Fokus lässt ein Foto richtig rocken.
5. Motivgestaltung beim Segeln
Bin ich ein paar Tage mit einem kleineren Boot unterwegs, dann geht mir irgendwann – spätestens beim Durchsehen der Fotos – die eingeschränkte Sicht nach vorne auf den Keks. Auch wenn wir uns jetzt alle auf die Idee stürzen, sich für erweiterte Bildperspektiven ein wenig per Drohne von Bord zu entfernen: Dauernd glotzt man nach vorne nur auf den Niedergang! Plus die typischen Fußbilder. Schaut man dagegen in Richtung Horizont, besteht das Bild aus Wasser, Wasser – und weit hinten ist irgendwas. Da hilft ein wenig Geselligkeit (siehe wieder Tipp 1!), mit mehreren Booten bekommt man etwas mehr Tiefe ins Bild, und vor allem der einfache, alte Vordergrund/Hintergrund-Trick: Ein markantes Bootsdetail im Vordergrund, daneben das eigentlich Motiv weiter weg auf dem Wasser – schon bekommt man eine viel plastischere Räumlichkeit. Besonders gut mit einer Spiegelreflex, aber dran denken: Sichtbar auf der Datei ist der Eindruck, wenn man testweise die Abblendtaste drückt, der Sucher zeigt ja immer den Eindruck „Blende ganz offen“. Steht die Blende auf 16 oder mehr, tendiert das Bild wieder in Richtung “Smartphone-Look“.
Sortieren, bearbeiten, wegwerfen!
„Deine Bilder waren wieder die besten“ – dem kann ich oft nur entgegnen: „Ehrlich gesagt habe ich einfach nur die vielen schlechten Dateien alle weggeworfen und euch lediglich die zehn schönsten Motive gezeigt.“ Dazu muss man aber eine Sortier-Strategie einführen – und dann am besten lebenslang durchhalten. Und sich einer Software bedienen, die ein Sichten und Sortieren unterstützt. Wer einzeln Bilder speichert, in Ordner legt, bearbeitet, die Versionen plus Variante _neu sowie _neu_neu_neu wieder woanders ablegt, hat in kürzester Zeit Chaos.
Fast jedes Bild profitiert von ein wenig Post-Processing: Den Horizont ein wenig richten, den Bildausschnitt optimieren – in drei Handgriffen macht fast jedes Bild einen Sprung nach vorne und kommt mehr auf den Punkt. Farbtemperatur und Helligkeit sind besonders gut zu korrigieren, wenn man in einem Raw-Format fotografiert, das machen mittlerweile sogar viele Smartphone-Apps. Ein JPG kann nicht vernünftig korrigiert werden, Punkt, isso! Ein perfekt fotografiertes JPG ergibt zwar ein perfektes Bild – aber das setzt voraus, dass man alle Parameter vorm Auslösen perfekt gesetzt hat. Ich kann das nicht. Alternativlos ist realistisch betrachtet auch eine nondestruktive Bearbeitung, wie bei Lightroom oder iPhoto & Co: Die Kameradatei wird importiert und abgespeichert, aber nicht verändert, sondern nur mit den Bearbeitungsparametern überlagert. Im Ausschnitt vertan? Kein Problem, ist jederzeit rückgängig zu machen. Wenn man dagegen jedes Bild einzeln in Photoshop öffnet, ändert speichert, das nächste Bild …
Entweder ist man dann Fine-Arts-Künstler und verkauft die Motive ab 1000 Euro aufwärts, oder man hat mehr Spaß an Photoshop als am Fotografieren und den Bildern.