Nur noch wenige Meter bis zum Steg. Bis zu einem der Stege. Armin und ich sind uns selten uneins, hier aber unentschlossen – welche der in sehr luftigem Abstand ins Hafenbecken gesetzten Pfahlreihen passt am besten zu unserem kurzen Folkeboot, wo ist das vom regennassen Algenschmier seifenglatte Holzplateau nicht ganz so hoch? Von Mommark kommend hatten wir uns bei ständig zunehmendem Wind und einigen Schauern das Stück bis Lyø hochgearbeitet, uns am Wind herantastend an Fynens Südwestspitze steuerbord gehalten und die lange, flache Nord-Landzunge Lyøs umrundet. Karte und GPS im Blick – neben dem ins Meer greifenden Naturschutzfinger wird es flach – nehmen wir das Groß runter und rauschen nur unter Fock auf die Hafeneinfahrt zu, die noch gut zu erkennen ist. Danach würde es laut Hafenhandbuch aber bei Seitenwind zackig um die Ecken gehen. Also noch den Außenborder aus der Halterung gewuchtet, Benzintank auf, und der Zweitakter schiebt uns die letzten Meter durch die rostigen Spundwände der Einfahrt, dreht den langen Kiel trotz Wind auch um die Kurven. Die Leinen liegen klar, denn welcher Ort es jetzt auch wird: der Wind drückt uns dann seitlich, eine zügig festgemachte Leine an einem Punkt in Luv macht Sinn.
Erst in Form eines ausgiebigen Frühsports mit diversen Gas- und Choke-Einstellungen. So aufgewärmt, gehen wir systematisch vor: Motorabdeckung auf, Spritfilter checken. Stellen fest: dort ist offenbar kein Tropfen Benzin mehr drin. Tank checken – voll. Tankdeckel – Lüfter ist auf. Tank steht gerade, Ansaugstutzen ist unter dem Sprit-Level. Alles tip-top. Gummiball zum Pumpen. Der kommt uns übrigens seit gestern etwas komisch vor. Sonst nix zu sehen, auch nicht an der Leitung. Warum kommt dieser elende Sprit nicht am Motor an? Armin dreht den Schlauch noch einmal aus der Ruhelage hin und her – da klappt ihm ein Leitungsriss direkt am Pumpball entgegen: Ab hier herrschte also nur noch frischer Meerluft-Flow in Richtung Heck zum Motor, wenn man durch Schwenk des Motors leichten Zug oder Drehung in den Schlauch brachte. Uns fällt ein Riesenstein vom Herzen, und merken erst jetzt, wie sehr uns diese tourentscheidende Frage doch im Magen lag. Das Werkzeug ist schnell ausgepackt, der Schlauch gekürzt, Schelle drauf, zwei‑, dreimal pumpen – Motor läuft.
Wir schnappen unsere Jacken, checken zum hundertsten Mal die Festmacher und erkunden die Insel. Nur eine Handvoll zerzauster Segler und zwei, drei Einheimische sind zu sehen. So malerisch diese ganzen Inseln auch sind: oft verbreiten sie ja doch eine etwas verstörende Verlassenheit. Hochwertigst restaurierte und verfallene Häuser wechseln sich ab, aber die Edelferienhäuser (oder Wertanlagen) kommen mir besonders spooky vor, so verlassen in der Vorsaison. Am Wegesrand ein offener Verschlag mit Spardose – hier decken wir uns mit ein paar Gläsern selbstgekochter Marmelade ein und erweitern unseren Bordproviant um eine weitere Geschmacksrichtung „Kirsche“. Bloß aufpassen, dass im Geldschlitz nicht die falschen Münzen landen und wir beim nächsten Hafenautomaten unter der Dusche im Trockenen stehn.
Wenig Wind = schöne Sicht auf die Schweinswale
Wir trimmen hier und da, aber alle Tricks ändern nichts daran, dass man bei einem knappen Knoten Fahrt pro Stunde keine ganze Seemeile gutmacht. Wir gehen ungern so früh an den Treibstoff, andererseits: „Windenergie“ würde sich uns die nächsten Tage noch zur Genüge bieten. Der Norden ist im Juni auch um zehn noch hell, das kommt uns nun zugute. Aber dann sollte man doch im Hafen sein, schon um Mommarks Hafenmeisters legendäre Jagdhorn-Einlage nicht zu verpassen. Hinten brummt der Zweitakter, am Bug spritzt es wieder, wenn auch Motorboot-gleichförmig statt Segel- oder Wellen-moduliert. Sehr spät legen wir nach den ersten 20 Seemeilen in Mommark an, proppevoll am Samstagabend, außer uns bewegen sich am Hafen nur noch ein paar Anglerboote – und die entgegenkommend. Dankbar sind wir der vorausschauenden Crew der in der Hafenenge liegenden Peltrine, einem über 100 Jahre alten See-Ewer: Zwar haben wir oft genug vergleichbare Vorsegel an ähnlichen Schiffen gesetzt und geborgen, aber ob wird beim engen Manövrieren aus unserer tiefen Folkeboot-Perspektive heraus an den weit ausladenden Klüverbaum weit über uns gedacht hätte, ohne den dran baumelnden orangen Kugelfender …
Video von der Tour gibt’s hier
Armin macht ein Nickerchen – und doch mal dichte Klamotten anziehen
Lyø halten wir gut in Erinnerung, nicht nur vom benzinschlauchbedingten Anlegen in Etappen und hilfreichen (statt nur gaffenden) Seglern, sondern einem wunderbaren Naturschutzgebiet, langen, knorrigen Alleen und dem mystischen „Glockenstein“. Viel Gelegenheit, den Tag wunderbar auf der Insel zu vertrödeln, umgeben vom schäumenden Lillebælt.
Piraten achteraus?
Zeitgleich kommen große Traditionssegler von Faborg um die steilen Klippen gebogen, uns entgegen oder holen von achtern sich aus dem Horizont erhebend auf. Was für eine phantastische Kulisse! Wir halten ihre Kurse im Blick, setzen uns etwas dichter dazwischen. Ein einfach überwältigendes Panorama aus kräftigem Wind und langen Wellen, streifendem Salz- und Regenwasser, als groß gepinselte Patinaflächen dazwischen cremefarbenes Segeltuch. Zögen jetzt noch Kanonendonner und Pulverdampf übers Wasser, es würde einen fast nicht wundern. Nach rund einer Stunde hat der Spuk ein Ende, wir sind wieder allein und es stellen sich die Alltagsfragen: Das häßliche Kümo vor uns – in Fahrt, vor Anker, oder weiß es das gerade selber nicht?
Es dauert nicht sehr lange (Kartenausschnitt, und Blick auf die Delius-Klasing-App) bis nach 18 sm Ærøskøbings aufgereihte Badehäuserzeile erreicht und ein guter Platz gefunden sind: Eine ganz leere Hafenecke, gegen den Wind geduckt hinter einer massiven Steinmole, das dänisch-bunte Muster hölzerner „Badehuse“ direkt vor Augen. Im Boot offenbar sich nach dem Anlegen das typische Chaos: Vorm Hafen grob aufgetuchte Segel. Leinen überall. Jacken, nasse Hosen, Rettungswesten. Karten, Kamera, Tablet, Fernglas, Funk. Unter Deck noch Baumstütze, Fender, Zelt … Dass man abends überhaupt noch ein Lücke für den Schlafsack findet!
Armin möchte aufräumen.
Ich will zur Werft.
Armin zeigt auf das maritime Chaos rund um uns.
Ich auf die leeren Liegeboxen rechts und links: Hier ist niemand, der uns verpfeifen könnte – wir sind doch unter uns! Und der Werft-Shop führt manchmal Weihnachtsschmuck. Damit kann man bei der häuslichen Genehmigungsstelle für ehemännliche Erkundungsfahrten zwecks turnusmäßiger Vermessung der Dänischen Südsee sehr erfolgreich Punkte sammeln.
Armin möchte aufräumen. Wenigstens etwas.
Wir einigen uns, müssen dann zu Fuß schnell einmal durch den ganzen Hafen, sind Viertel vor Fünf an „Det Gamle Værft“. Die soeben geschlossen hat! Durchs Fenster sichtbarer Krimskrams in den Werftregalen schaut aus, als hätte er daheim etwas bewirken können. Nun werden wir uns für 2019 was einfallen lassen müssen. Aber Segelklamotten, die schon aufgehängt gut trocknen, haben ja auch ihr Gutes.
Wo bin ich 😉
Wir schleichen um die Bootsbaustellen und schlagen uns in die Nebengassen. Eine schöner als die andere, gehalten in farbenfrohen, aber nicht übersättigten Farben, flaniert von den hier typischen Stockrosen. Von der Nørregade schaut man durch die offenen Fenster in dänisch designte Wohnräume. Und blickt durch deren hintere Fenster gleich weiter durch auf die Ostsee. Die Jahreszahlen auf den Giebeln verraten, dass man schon in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts wusste, wie es sich schön wohnen lässt, ganz ohne Fototapete oder Riesenglotze an der Wand.
Kurs Marstal
Die Segelwoche neigt sich, es ist nochmal sehr viel Wind aus Nord angesagt. Die Richtung passt perfekt, wir haben gut geplant. Nur zwei Tage drauf ist endlich nachlassender Wind angesagt, wenn wir wieder einen sehr lange Schlag zurück nach Deutschland vor uns haben. Aber jetzt schon ganz zurück … doch lieber Zwischenstopp in Bagenkop. Raus aus Ærøskøbing pfeift es wieder ordentlich. Das Groß ist angeschlagen, aber nicht gesetzt. Wir hoffen, allein mit sehr reduzierter Segelfäche – unter Fock – bei kräftigem Nordwest auf Halbwindkurs mit Kurs auf Drejø so viel Höhe halten zu können, um von dort in die Mørkedyb-Rinne hinunterzurutschen. Die Welle nimmt ordentlich zu, die paar Segler um uns rum schauen von deutlich größeren Booten auf uns runter. Sie könnten notfalls auch unter Motor einen Kurs „erzwingen“. Wir dagegen müssen uns völlig an die Situation adaptieren.
Fahrwasser-Wirrwarr vor Marstal – und das Trockendock ist weg
Also Ausschau gehalten, ob man den nächsten betonnten Haken Richtung Marstal nicht etwas mildern und abkürzen kann, ohne das Boot auf eine Sandbank zu setzen. Am Ende der Rinne bietet sich dazu nach SW ein Schlag über „Meyers Grund“ an, angesichts des Seegangs mit deutlichem Abstand zu den Tiefenangaben, die mit einer „2“ vor dem Komma in der Karte stehen. Vor Marstal angelangt gilt es dann, die richtige Betonnung der drei Fahrwasser plus Hafenzufahrt statt der vorgelagerten Steinmole zu erwischen – nur unter Vorsegel bei dem vielen Wind und ohne Option, unter Motor zu korrigieren gibt es hier auch nur einen Versuch, richtig abzubiegen. Wir hatten überlegt, noch einen Zwischenstopp einzulegen, den Tag extra hätten wir dafür. Aber morgen soll das Wetter komplett kippen, statt kräftigem Nordwest plötzlich Südwest. Wir möchten hier nicht plötzlich eingeweht werden und denken, dass wir weiter südlich auf Langeland besser aufgehoben sind, um von dort bei SW zurück nach Deutschland zu kommen. Also weiter. Backbord schimmern mit klarer Farbkante abgegrenzt die Sandbänke dicht am Fahrwasser, die Kulisse von Marstal zieht beim Kurs Süd steuerbord vorbei, mit gewöhnungsbedürftigem Umriss: Jahrzehnte gezeichnet von den in den Himmel ragenden Fingern der Kräne und dem kastigen Schwimmdock der Marstal Værft, deren landschaftsprägende Stahlmonster aber 2017 nach Svendborg verlegt wurden. Schön war anders – aber irgendwie fehlt einem diese Landmarke jetzt doch.
Besser kann es einem nicht gehen
Die vielen freien Boxen liegen leider alle quer zum Wind, der Winddruck nur im Rigg reicht aus, unser festgemachte Boot zu krängen. Noch hoffen wir, einen der später einladenden Segler neben uns locken können für etwas Deckung. Stattdessen gibt es zwar gut zu tun, von ebenso zerrupften Seglern Leinen anzunehmen. Aber ihre fetten Motoren, mit denen sie mehr oder weniger erfolgreich versuchen, ihre Anleger kontrolliert verlaufen zu lassen, wühlen das halbe Hafenbecken rund um uns auf und es ist dann vielleicht doch besser, dass wir alle etwas Abstand halten.
Nebenan werden die gemessenen Windgeschwindigkeiten diskutiert, und unser Zelt fürs Cockpit bleibt fest weggepackt. Und da wir ja bei dem Gepfeife kaum den Gaskocher in Gang bekämen, müssen wir leider, leider, ausnahmsweise im Hafenkiosk Riesenportionen Langelænder-Pommes und ein paar dicke Burger verdrücken. Nur ein Pølser reicht heut nicht. Aber auf einem Stuhl zu sitzen, ohne dass einen der Wind wegdrückt – das ist auf einmal ungewohnt. Wir gucken weiter Wetter, Wetter, Wetter: Morgen, am vorletzten Tag, kräftiger Südwest. Übermorgen dann deutlich weniger – yieppieh, zuletzt noch ein ruhigerer Segeltag? Wir laufen nochmal zur Hafeneinfahrt, schauen uns den Seegang und ein paar dazwischen einlaufende Angler und Segler an, klettern auf den kleinen Aussichtsturm: Da möchten wir jedenfalls so bald – und vor allem in Gegenrichtung – nicht wieder durch.
Die Klippen, jetzt von See aus
Zurück am Leuchtturm Schleimünde
Gesamte Runde um Ærø mit 105 Seemeilen (knapp 200 km)